Das Objekt der Bemühungen

Maren Diehl • 13. Juli 2025
Komplexität

Ja, also eigentlich wollte ich kein Bullshit Bingo mehr machen, aber wenn ich dann so viele Sachen innerhalb kürzester Zeit zugeschickt bekomme, dann muss dazu leider nochmal etwas gesagt werden.

Es gibt inzwischen Spezialistinnen und Spezialisten, die unterscheiden zwischen einer physiologischen Beckenkippung und einem pathologischen Öffnen des Lumbosakralgelenkes. Es ist aber so, dass ein dauerhaft unter Last gekipptes, abgekipptes, steilgestelltes (oder wie auch immer man es benennt) Becken nur pathologisch sein kann. Das Lumbosakralgelenk öffnet sich physiologisch nur in der Schwebephase, um mehr Raumgriff zu gewähren. Unter Last muss es sich schließen.

Zu behaupten, dass die Arbeit mit einem steilgestellten Becken physiologisch sein kann, ist mindestens fragwürdig. Ein Pferd, das mit abgekipptem Becken irgendwelche Versammlungen fabrizieren soll, kommt nicht umhin, das Ganze mit erheblichem Arbeitsaufwand, sprich Muskeleinsatz, zu betreiben. Und das ist, mit Verlaub, für ein Wesen mit höchster natürlicher Bewegungseffizienz unphysiologisch. “Unphysiologisch” bedeutet ganz einfach, dass der Körper mit seinen natürlichen Funktionen dafür nicht gemacht ist.

Da die besagten Spezialistinnen und Spezialisten meistens Reitkünstler sind, deren Ziel höchste Versammlung ist, ist klar, dass mehr Raumgriff hier nicht benötigt wird und dass es kein Zeitfenster für physiologisches Öffnen und Schließen des Lumbosakralgelenks gibt. Es macht sich auch einfach niemand klar, welchen Arbeitsaufwand es für ein Pferd bedeutet, mit einem vermeintlich physiologisch steilgestellten Becken eine halbwegs echt aussehende Hankenbeugung zu zeigen. Das bedeutet wiederum, dass Pferde, denen beigebracht wird, sich so zu bewegen, extreme Kompensationsmuskulatur aufbauen müssen, die dann als Trainingserfolg gefeiert wird.

Die gesamte versammelnde Arbeit sollte mit geschlossenem Lumbosakralgelenk und einem Becken in natürlicher Neutralstellung funktionieren - und das tut sie auch. Alles andere ist Schönfärberei, weil man selber nicht willens ist, den Paradigmenwechsel wirklich zu vollziehen und das Ganze mit geschlossenem Lumbosakralgelenk neu zu erarbeiten. Leute, die lange genug geübt haben, sind in der Lage, erfolgreich eine vermeintlich physiologische Beckensteilstellung vorführen zu können. Fraglich ist nur, ob es nötig ist, so etwas nachzuarbeiten.

Wir befinden uns hier in einem sehr schwierigen Bereich der Reitkunst. Das Problem ist, dass man sich in diesem Fall nicht selbst fürchterlich anstrengt als Künstlerin oder Künstler, sondern dass man vor allem das Pferd zum Objekt der eigenen Bemühungen macht. Und auf dem Weg, diese pathologischen Bewegungsmuster physiologisch erscheinen zu lassen, verschleißt man Pferde und Lebenszeit. Und selbst wenn das Ganze der einen oder anderen gelingt, heißt das noch lange nicht, dass das grundsätzlich nötig wäre, damit ein Pferd einen Menschen tragen kann. Das ist Quatsch. Vor allem für Leute, die ihr Lebensziel nicht in der Vollendung der Reitkunst sehen, ist es absolut nicht erstrebenswert.

Und da ja nun überhaupt nicht klar ist, wie lange wir uns den Luxus der Pferdehaltung und des Reitens überhaupt noch leisten können, weil irgendwann der Klimawandel dafür sorgen wird, dass zu wenig Futter für alle Pferde da ist, denke ich, dass zumindest diejenigen, die eigentlich mit ihrem Pferd lieber durchs Gelände reiten wollen, genau das tun sollten. Und, Überraschung, dafür muss das Pferd nicht dressurmäßig ausgebildet und gymnastiziert sein.

Der für mich wesentliche Punkt ist aber, dass, wenn man sich nicht wirklich mit den Themen befasst (es zwingt einen ja keiner dazu) und wenn man die Dinge nicht wirklich versteht, so wie die Geschichte mit dem Lumbosakralgelenk oder auch die Geschichte mit der Biotensegrität (das muss ja niemand), dann wäre es doch schön, einfach sein Unwissen für sich zu behalten, anstatt das Netz mit irgendwelchen halbgaren Aussagen zu fluten, die wichtige Konzepte unglaubwürdig machen.

Beispiel: “Ja, in diesem Bereich... Da können wir dann die Biotensegrität verwenden, aber an anderer Stelle benutzen wir die Biomechanik, weil das besser passt.” Leute, this is bullshit. Genauso wie die Aussage am Anfang des Textes, dass es ein pathologisch abgekipptes Becken gibt und ein physiologisch abgekipptes Becken. Ebenfalls Bullshit. Das offene Lumbosakralgelenk verschiebt die Bewegungsphasen und ist von daher unphysiologisch. Immer.

Es nützt auch überhaupt nichts, wenn man sich die Eigenschaften eines gut in Gebrauchshaltung gearbeiteten Pferdes anschaut, sich die Parameter abschreibt und dann versucht, mit den Methoden z. B. der akademischen Reitkunst, diese Parameter zu erreichen. Auch das funktioniert nicht.

Es ist durchaus hilfreich, über den Tellerrand zu schauen, um die eigene Arbeit zu verbessern oder besser einordnen zu können. Es wäre auch hilfreich, sich gezielt weiterzubilden. Hingegen ist und bleibt das Kapern von Begriffen und Konzepten, die man nicht verstanden hat, peinlich.
 

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