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Der Traum

Maren Diehl • Dez. 11, 2022

Am Anfang stand der Traum vom Galopp über endlose Wiesen...

... und nun drillst du bereits seit gefühlten Ewigkeiten dein zunehmend lustloser werdendes Pferd nach allen Regeln der Kunst welchen Ausbildungssystems auch immer, um es tragfähig zu machen. Der Traum ist in Vergessenheit geraten.


Was wäre, wenn es möglich wäre, ein belastbares Reitpferd auszubilden, ohne selbst perfekt zu sein, ohne das Pferd detailliert und kleinschrittig vom Boden aus auf seine Aufgabe vorzubereiten? Wenn wir alle nur das anfingen, was wir perfekt können, könnten wir aufhören, bevor wir begonnen hätten. So unsinnig sich der Anspruch an Perfektion im Alltag und im Berufsleben anhört, so unsinnig ist er auch in Bezug auf das Leben mit Pferden. Die Unmöglichkeit, diesen Anspruch zu erfüllen, vermiest viel zu vielen Reitenden und Pferden die Lebenszeit, die sie miteinander verbringen - und diese Lebenszeit ist viel zu schnell vorbei!


Realitätscheck

• Wie viele Pferde sehen trotz jahrelanger konsequenter Befolgung eines Ausbildungssystems zur Vorbereitung auf ihre Aufgabe als Reitpferd nicht im Entferntesten aus wie ein solches? 

• Wie viele zeigen trotz aller Bemühungen pathologische Bewegungsmuster, haben alle möglichen Erkrankungen des Bewegungsapparates, der Verdauung und der Atemwege, tragen einen Hängebauch mit sich herum und sind vom Sternzeichen her Patient? 

• Das andere Extrem sehen wir in der Sportpferdeausbildung: Hier sind zu viele Pferde bereits im Alter von sieben Jahren mit ihrer Karriere als Sportpferd durch, weisen die gleichen Symptome auf wie die ewigen Jungpferde und haben das Sternzeichen Frührentner.


Traum 2.0

Es ist selten zu spät, den Traum wiederzubeleben und es gibt einen Weg aus der Perfektionismusfalle. Erfahrungsgemäß ist es anfangs schwierig, sich aus der derzeitigen Normalität zu lösen, denn was alle sagen, muss doch irgendwie richtig sein? 

Deshalb lasse ich die Erlebnisse, Ergebnisse und Entwicklungen, von denen Reiterinnen aus meinen laufenden Kursen berichten, für sich sprechen. Fangen wir an mit den offensichtlichsten physischen Veränderungen einiger Pferde:


Herr Spanier, der vorletztes Jahr als austherapierter Ruheständler in der Coaching-Gruppe eine letzte Chance bekommen hat, macht inzwischen begeistert Strecke in allen Gangarten. Der Fassbauch ist verschwunden, der Brustkorb ruht nicht mehr auf den Ellbogen, der zuvor eingesunkene Widerrist hat sich gehoben. Die ehemals längsovalen Vorderhufe sind nun kreisrund.  

Die Schwarzwaldquarter: Bei der letzten Hufbearbeitung fiel auf, dass das langjährige Problem weg war. Die schiefen Vorderhufe des immer "über den großen Onkel" laufenden Quarters sind nach einem knappen Jahr sehr gleichmäßig und benötigen kaum noch Korrektur. Zudem wurden die Vorderhufe etwas flacher und die Hinterhufe etwas steiler - unter vier senkrechten Röhrbeinen. Beide Pferde haben eine "gute Figur" bekommen, die dicken Hängebäuche sind weg. 

Die Spanierin: Auch bei ihr hat sich die Hufform verändert. Die schief gelaufenen Hinterhufe werden symmetrischer, die Figur stromlinienförmiger und schlanker - der dicke Bauch ist weg.

Der Italiener: In Bewegung sportlich schlank. Der Widerrist hat sich gehoben, und entgegen der Bedenken des Tierarztes angesichts des damals Dreijährigen hat sich eine gute Sattellage gebildet. 

Das Nordische Kaltblut: Xund und rund. Nach zwei gerittenen Jahren mit 1250 km im ersten und voraussichtlich 2000 km in diesem Jahr weitgehend beanstandungsfrei durch den jährlichen Osteopathie-Check gekommen. 

Der kleine Russe: Er ist gerade erst gestartet, zeigt aber deutliche Begeisterung für's Geritten werden im Gelände. 

Alle: Eine glatte Muskulatur zeigt sich bei allen Pferden innerhalb weniger Monate in Arbeit. In der Hufpflege fallen nach und nach die meisten Korrekturmaßnahmen weg. Die Ausdauer steigt.


Für alle Pferde gilt: Die Leistungsbereitschaft nimmt zu, die Bewegungsfreude wird größer, die Pferde werden auch in sehr schwierigem Gelände trittsicher. Die Bewegungskompetenz der Pferde wächst zusammen mit ihrem Verantwortungsbewusstsein und dem gegenseitigen Vertrauen. Alle Pferde bekommen Spaß am Strecke machen. 


Und die Menschen?

Den meisten Menschen fällt regelrecht eine Last von den Schultern:


"Ich finde es wunderbar, dass man so viel Unsinn nun wegwerfen kann..."

• "Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass das Pony eine aufgetragene Aufgabe á la "das ist jetzt dein Job" einfach so und so unspektakulär und stressfrei annimmt und umsetzt - was mir aber zeigt, was der Unterschied zwischen Ertragen und Tragen sein kann und dass sie durchaus imstande ist, dafür eigene Verantwortung zu übernehmen. Ich kann ihr da viel viel VIEL! mehr zutrauen." 

• "Die machen so viel einfach von sich aus, und so selbstverständlich. Sachen, die ich mich vor ein paar Monaten noch nicht getraut hätte."

• "Den Tierarzt haben wir in den letzten zwei Jahren, bis auf eine leichte Kolik, nur zum Impfen gesehen."

• "Ich habe immer gedacht, ich reite nicht gut genug. Es ist eine solche Erleichterung, dass wir beide nicht perfekt sein müssen!"

• "Mein Pferd verändert sich so positiv, ich glaube, dem fehlt nichts von dem, was ich alles nicht mehr mache."

• "Ich habe gerade irgendwie eine Pferdekrise… also nicht dass etwas dramatisches war oder einer krank ist. Aber alles, woran ich jahrelang erfolglos gearbeitet hatte, funktioniert jetzt. Was mach ich denn jetzt, wo geht es weiter?"


Wo geht es denn nun weiter?

Es könnte weitergehen mit der Verwirklichung des Traumes! Gemeinsam mit dem Pferd das Gelände erkunden, statt auf Reitkursen zu schwitzen in den Urlaub fahren, zusammen unterwegs sein...

Betrachten wir den beispielhaft abenteuerlichen Werdegang des Italieners:


"Murgi Mo musste im zarten Alter von 3 Jahren den Süden Italiens verlassen und in die Mitte von Deutschland reisen. Dort konnte er sich nicht verwurzeln. Ein weiterer Standortwechsel in den Süden Deutschlands war nötig. Hier wurde er mit dem Ernst des Pferdelebens konfrontiert. Erkunden von seltsamem Gelände mit Wald, Vögeln und begehbaren Bächen. Und nebenbei auch noch einen Menschen tragen. Ab dem letzten Jahr haben wir die Abenteuer ausgeweitet. Zeltlager mit Freunden, ohne Freunde und mit neuen Freunden stand auf dem Programm. Einmal in der Pfalz, einmal bei einem TREC Training in France, dann bei einem TREC in Hessen als Zaungast um das Lagerleben kennen zu lernen. Mit Übernachtung im Paddock und ständig kommenden und gehenden anderen Pferden. Und mit der Erprobung fremder Hindernisse in fremdem Gelände. Und dann Ende letzten Jahres ein Zeltlager mit neuen Freunden in Zeeland. Und damit Erkundung von neuen Geländeformen: Dünen und Watt und Meer. Das war so toll dass wird es dieses Jahr gleich nochmal gemacht haben.


Davor war noch ein TREC Abenteuer in Luxemburg, dieses mal als Teilnehmer. Mit neuen Freunden, Übernachtung im Paddock neben einer bewohnten Kuhweide und der Begegnung einer freilaufenden Kuhherde im Wald. Damit hat Mo mit nun 6 Jahren schon 4 Länder bereist und ist etliche Kilometer Hänger gefahren, alleine oder mit alten und neuen Freunden. Die gelaufenen Kilometer hab ich nicht gemessen. Aber im Watt hatten wir dieses Mal 17 Minuten Galopp."


“Es ist eine gefährliche Sache, Frodo, aus deiner Tür hinauszugehen. Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen."

(Bilbo zu Frodo)


Wo euch der Kurs "Allerbeste Argumente für Geländereitende" hinführen wird, weiß ich nicht. Sicher ist, dass sich eine neue Welt eröffnen wird, die ihr gemeinsam erforschen könnt.


https://www.die-pferde-sind-nicht-das-problem.de/shop/Argumente-fur-Gelandereitende-Januar-2023-p416751035


Eine ausführliche Kursbeschreibung einschließlich Voraussetzungen und Disclaimer findet sich auf der Shop-Seite.




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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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