Ja, er sieht einfach schick aus, der neue Beschlag. Zierliche Füßchen, kompakt, geeignet zum Abrollen, denn ein Rad verursacht keine Hebelkräfte. Trachtenwand und Zehenwand sind parallel, die Fesselachse perfekt… Da der letzte Blogpost aber die Hebel aus der Argumentation verbannt hat, muss neu gedacht werden. Ich lade euch ein, meinen Überlegungen ganz unemotional zu folgen:
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Irgendwo zwischen den Extremen der vernachlässigten zu langen Zehe (die nicht identisch ist mit der Rehazehe) und der ästhetisch ansprechenden zu kurzen Zehe liegt die vollständige funktionale Zehe. Sie gehört zu einem funktionalen Huf mit einer optimalen Bodenkontaktfläche. Die funktionale Hornkapsel ist mit dem Hufbein fest verbunden und sitzt wie angeklettet daran. Das heißt, dass das Hufbein, wenn auch “aufgehängt”, fest mit der Hornkapsel verbunden ist. Es baumelt nicht darin herum wie ein Senkblei. Diese Aufhängung besteht aus der vollflächigen lamellaren Verbindungsschicht.
Stellt euch neuen, starken Schwerlast-Klettverschluss vor, von dem eine Seite vollflächig aus der Hornkapsel in Richtung Hufbein wächst und die andere Seite ebenso flächig aus der Oberfläche des Hufbeins in Richtung Hornkapsel. So etwas könnte man bestimmt als Modell bauen. Zwei konische Elemente, die man ineinander stecken kann. Einmal innen und einmal außen mit Klett beschichtet. Sobald die fest ineinandergeschoben sind, bekommt man sie mit haushaltsüblichen Mitteln nie wieder auseinander, selbst wenn der Klett an einer Stelle beschädigt sein sollte.
Das heißt, dass das innere, aufgehängte Element an tausenden Klettverbindungen hängt, die eine minimale Bewegung bei Be- und Entlastung durchaus zulassen, dass es sich aber nicht frei in der Hornkapsel bewegen und einfach so seine Position verändern kann.
Nun benötigen wir eine genauere Vorstellung davon, wie eine Aufhängung sich in verschiedenen Situationen verhält.
Wenn etwas aufgehängt ist, zieht das aufgehängte Gewicht immer zum Erdmittelpunkt. Wenn etwa ein Balken horizontal unter einem anderen horizontalen Balken aufgehängt ist, haben wir einen definierten Abstand zwischen den Balken, der der Länge der Aufhängung entspricht.
Aber jetzt verändern wir die Position des oberen Balkens. Wir neigen ihn um 45°. Was geschieht mit dem Abstand zwischen den Balken? Er wird geringer. Der Zwischenraum wird geringer. Und je weiter wir den oberen Balken neigen, um so geringer wird der Abstand zum unteren Balken, während die Länge der Aufhängung gleich bleibt.
Stellen wir uns die Hufbeinaufhängung in einer zweidimensionalen abstrahierten Darstellung als einzelne Seile zwischen Zehenwand und Hufbein vor, erkennen wir das Problem nicht, das sich durch den stark verringerten Zwischenraum zwischen Hornkapsel und Hufbein ergibt. Im realen Huf jedoch gibt es keinen leeren Raum zwischen Hornkapsel und Hufbein. Dieser Raum ist gefüllt durch die Lamellenschicht Und das bedeutet, dass je steiler der Huf, um so weniger Raum für die Lamellenschicht – also die Zone, die funktional wie ein Klettverschluss wirkt.
Eine Aufhängung ist auf Zugbelastung ausgelegt. Die Lamellenschicht im Huf sollte also in ihrer Belastbarkeit auf Zug eine mehr als ausreichende Sicherheitsreserve haben. Aber wie sieht es mit Druck/Kompression aus?
Es ist anzunehmen - hier bräuchte es weitere Forschung - dass die auf Zugbelastung ausgelegte Lamellenschicht mit dauerhaftem Druck, mit Quetschung, nicht gut zurecht kommt, ebensowenig wie das Hufbein. Hier vermute ich (Achtung, Theorie!) eine der Hauptursachen für (1) die Zerstörung der Lamellenschicht im Zehenbereich, (2) die Ablösung des Hufbeins von der Zehenwand bei zu steilen Hufen und (3) den Knochenabbau am Hufbein. Was aussieht wie eine durch Hebelkräfte gezerrte Lamellenschicht, ist eine im Vorfeld in sich durch Druck zerstörte solche.
Kommt dann eine zusätzliche physische oder toxische Belastung hinzu, kommt es zur Hufrehe, zur Entzündung. Diese entwickelt sich bei Pferden mit High-Low-Syndrome häufig zuerst an den steileren Hufen, was die Theorie stützt. Die Hufe werden heiß, das Pferd lahmt. Und jetzt erst werden Röntgenbilder gemacht und eine Separation mit Hufbeinrotation befundet.
Bei logischer Betrachtung wird bei allen steil gestellten Hufen der Raum für die Lamellenschicht im Zehenbereich des Hufes weniger, bei schiefen Hufen vor allem an der steileren Seite der Zehe. Was die tiefe Beugesehne entlasten soll (die nicht entlastet werden kann, da sie als strukturelles Zugelement im Pferdekörper permanent unter Grundspannung steht bzw stehen muss), öffnet die Tür für pathologische Veränderungen in der Lamellenschicht, die später als Folgen von Hufrehe befundet werden.
Das wäre mein Beitrag zu der Diskussion um die Frage, inwieweit die Zerstörung der Lamellenschicht (oft nur im Zehenbereich des steileren Vorderhufes) und der damit einhergehende Knochenabbau der Hufbearbeitung anzulasten ist. Es handelt sich um eine Schlussfolgerung aus (1) der Betrachtung von Anatomie und Pathologie aus biotensegraler Perspektive, (2) ein wenig Geometrie und Physik, (3) der Betrachtung von Röntgenbildern und (4) den Beobachtungen an lebenden wie toten Pferdehufen.
Das bedeutet, dass Separation ebensowenig wie die “Rotation” des Hufbeins ursächlich mit dem entzündlichen Prozess der Hufrehe in Zusammenhang steht. Insbesondere die zeitliche Abfolge des Geschehens bedarf einer näheren Betrachtung.
Studienlage:
Es gibt Belege dafür, dass die Zugspannung der Lamellenschicht bei steileren Hufen steigt, zu den Druckverhältnissen sind mir keine Studien bekannt.