Weil wir es können

Anonym • 3. September 2025
Gebrauchshaltung in der Praxis

 

Ich bin jetzt soweit!

Als mich Maren vor Ewigkeiten fragte, ob ich eine Ponygeschichte für ihren Blog schreiben wollte, dachte ich noch – ach was, wen interessiert das denn?

Heute während des Hörens ihres Podcasts mit dem Wassereimer kam mir der Gedanke: Doch, es könnte eine Zielgruppe dafür geben. Also Menschen, die diese Geschichte gern lesen würden und dieselben Erfahrungen gemacht haben, oder sie gern gemacht hätten. Vielleicht bist du so eine(r).

Ich beginne mit meinem wunderbaren Pferd, dessen Freundschaft zu mir schon in seinem Namen steckt. Amigo.

Wir gehen seit 2011 miteinander durchs Leben. Und wir sind immer schon anders gewesen. Weil ich anders war und bin. Ich bin ein Angstreiter. Die „Wenns“ in meinem Kopf sind ziemlich laut (Was passiert, wenn ich falle und das Pferd dann alleine heim rennt usw.) Kennst du vielleicht – der Umgang mit einem Pferd ist eben nicht wie häkeln, kochen oder zeichnen. Die Komponente Pferd bleibt immer zu einem Teil unberechenbar.

Ich reite auch wirklich nicht besonders gut, und dachte immer, wenn ich es besser könnte, also mir mehr technische Skills aneigne, dann müsste ich auch weniger Angst haben – weil ich ja dann (endlich) die Kontrolle über mein Pferd haben würde.

Zudem war auch ich Opfer der These: Pferde gehen vom Reiten kaputt, wenn man nicht permanent gegensteuert und irgendworan arbeitet. Schwachstellen identifizieren und gezielter Aufbau dort, hier und da dehnen,... je feiner das Pferd auf meine Signale reagieren kann, umso besser.

Ich habe also auf verschiedenen Wegen versucht, besser reiten zu lernen, mein Pferd besser auszubilden und mittendrin und immer wieder hat es sich nicht hilfreich angefühlt. Also, versteh mich bitte nicht falsch, Amigo konnte nach unserem Ausflug in die Légèreté wirklich punktgenau auf kleinste Signale in alle Richtungen alle möglichen Seitengänge – und ich hatte sogar das Gefühl, dass es ihm Spaß gemacht hat.

Abgesehen davon hat es aber überhaupt nichts an meinem Gefühl geändert, zu wenig zu können. Komm, du musst das Pferd gymnastizieren, der kann nicht einfach nur an der Kutsche und im Gelände umhertingeln. Meine Sicht auf mich und mein Pferd war immer defizitär. Ich kann zu wenig, das Pferd kann zu wenig, wir können beide zu wenig. Gefährliche Kombination! Blabla.

Amigo indes war immer einfach mein Freund. Er ist immer nur so schnell gelaufen, wie ich psychisch aushalten und draufsitzen bleiben konnte. Er hat mir deutliche, aber ungefährliche Zeichen gegeben, wenn er seinerseits (aus welchem Grund auch immer) mal nicht auf mich aufpassen konnte. Und er war ein junges Pferd, als er zu mir kam!

Zu dieser Zeit brachte ich nicht mehr fertig, als ab und zu ein paar Meterchen im Wald im Schritt drauf zu sitzen. Auf den ersten von mir initiierten Galopp mit mir als Reiter hat mein Pferd ganze 9 (neun!) Jahre gewartet.

In unseren Anfängen bin ich (neben regelmäßigen, auch durchaus flotten Kutschrunden) ewig mit ihm spaziert, um zu spüren, wie es ihm geht und wie es mir geht, und ob ich mich heute trauen möchte, mal aufzusitzen. Mein Pferd war immer geduldig mit mir. Er hat zum Beispiel gefragt „Wollen wir heute ein paar Schritte traben? Komm, wir versuchen es mal!“ Und wenn mich nach 2 Schritten der Mut verließ, fiel er von alleine wieder in den Schritt. Ich bin in all den gemeinsamen Jahren nicht ein einziges Mal von meinem Pferd gefallen, weil er das einfach nicht zugelassen hat (obwohl es Gelegenheiten genug dafür gegeben hätte).

Irgendwann sickerte der Gedanke in mich, dass mein Pferd nicht möchte, dass ich runterfalle. Es möchte mit mir gemeinsam nach Hause kommen.

Und das klingt im ersten Moment schön, aber wenn man so ein Kontrolletti ist wie ich, kann man das nicht gut aushalten, abhängig zu sein. Schon gar nicht von einem Pferd. Abhängig zu sein vom guten Willen eines Wesens, was in der landläufigen Sicht ein instinktgesteuerter Fleischberg ist, ist nicht akzeptabel. Pferde können keine Freunde sein, Pferde sind Tiere. Die können schon lieb sein und auch zugewandt. Aber im Ernstfall sind es Tiere, auf die man sich nicht verlassen kann. Reine Glückssache, dass das so lange bei uns gutgegangen ist! Dachte ich. Und Amigo war einfach zuverlässig.

Er hatte vor Jahren mal ziemlich gehustet, also: galoppieren. Es muss sein! Und ich hatte (Gottseidank!) endlich einen passenden Sattel, der mich nicht bei jedem schnellen Schritt meines Pferdes schier rauskatapultiert hat.

Wir sind also (nach 9 gemeinsamen Jahren erstmalig) viel, gerne und auch lange galoppiert. Ich immer mit gemischten Gefühlen, aber schon auch einer gehörigen Portion Spaß. Darf das denn sein, wenn man die Situation nicht 100% unter Kontrolle hat? Darf das denn sein, wenn man beim kleinsten Sprung zur Seite definitiv unten gelegen hätte? Ich muss vollkommen verrückt sein!

Wir sind in dieser Zeit auch öfter in der Dämmerung heim galoppiert, und ich konnte nichts mehr sehen. Also es war keine schwarze Nacht, aber im Wald einfach zu wenig Sicht, um dem Pferd irgendwie hilfreich zu sein bei der Wahl der Wegseite, Identifikation von Hindernissen, der Wahl einer angemessenen Geschwindigkeit oder sonstwas. Gefühlt im Blindflug.

Wenn ich mit anderen Leuten im Gelände unterwegs bin, erlebe ich öfter, dass andere Reiter gucken, ob da Löcher im Boden sind, ob es rutschig ist, also wo man am besten lang geht und in welcher Haltung und Geschwindigkeit. Dafür hatte ich ja nie Kapazitäten frei in meinem Kopf!  Und Amigo hat das auch nie gebraucht. Aber mir fiel das erst in dem Moment so richtig auf, als ich das auch gar nicht hätte machen können.

Es fühlte sich unglaublich an, seinem Pferd zu sagen „Also Amigo, ich sehe hier nix mehr. Falls du auch nichts siehst, dann sollten wir hier vielleicht nicht galoppieren“, und das Pferd macht dann einen kleinen Grunzer und beschleunigt. Ich übersetzte das zu „ich seh alles, ich mach das schon“ und dann fliegt man zusammen durch den Wald. Nicht kopflos, nicht, weil ich die Situation nicht unter Kontrolle hatte und das Pferd das ausgenutzt hätte. Einfach, weil man es kann und will. Und man kommt heil im Stall an. Immer wieder. Jahrelang. Habe ich bisher einfach nur megaviel Glück gehabt?

Eines Abends – flotter Galopp Richtung Heimat in der Dämmerung – springt uns ein Reh in den Weg.

Das Pferd steht sofort.

Ich nicht.

Ich schoss mit knapp 30km/h weiter. In mir entsteht im nach vorn Fallen sofort der Gedanke „Jetzt ist es soweit, jetzt passiert es! Jetzt bekommst du die Quittung für deine Sorglosigkeit!“

Amigo war offensichtlich sehr schnell klar, die packt das nicht da oben. Die bleibt nicht sitzen, wenn ich nicht helfe.

Wie er es gemacht hat, weiß ich nicht. Es fühlte sich so an, als wäre er sehr deutlich in Richtung oben angaloppiert und hätte mich damit wieder aufgefangen. Fakt ist, ich saß danach genauso drauf wie immer. Ich hab meine Bügel sortiert, Amigo fragte mich mit nach hinten gerichteten Ohren und ganz langsamen Schaukelgalopp, ob alles wieder okay wär? Ja? Dann weiter! Und dann sind wir weiter nach Hause gezischt.

Die Tatsache, dass mein Pferd aus vollem Lauf ruckartig auf 0 bremsen kann, dann innerhalb eines Sekundenbruchteils merkt, dass ich Hilfe brauche, dies in konkrete Maßnahmen umdeutet, diese dann auch umgehend & erfolgreich zum Einsatz bringt, bevor ich auf dem Boden lande – das halte ich für eine gigantische Fähigkeit.

Irgendwann in dieser Zeit trat dann auch Maren in unser Leben (ich habe ihren Geländereiter-Kurs gemacht). Das hat uns dann eine emotionale Heimat gegeben. Insbesondere ihre Empfehlung „mach dein Pferd zum Sicherheitsbeauftragten“ haben wir ja seit Jahren sehr ausgiebig umgesetzt.

Aber wir haben durch Maren auch ganz Neues gelernt. Zum Beispiel hat es mich immer mit einem kleinen inneren Widerstand erfüllt, das Pferd dem Gebiss nachgeben zu lassen. Also ich hatte schon auch den Gedanken, dass ein Pferd das können muss. Man sieht und hört das ja überall - obwohl ich nicht erklären konnte, wieso es das muss, und auch gar nicht wusste, wie es geht. Und dennoch gab es immer so einen inneren Widerstand, dass er das lernt, ohne das Gefühl konkret begründen zu können.

Maren hat in so vielen Punkten die fehlende Nische für uns aufgemacht. Die Erkenntnis, dass ein Pferd horizontal ans Gebiss zu ziehen hat und der Rest, den man miteinander tut, relativ egal ist, hat sich bei uns sehr schnell bestätigt.

Ab da war es okay, „nur“ im Gelände unterwegs zu sein. Ab da hatte ich eine noch größere innere Wertschätzung für das, was mein Pferd die ganzen Jahre so geleistet hat. Es ist mir plötzlich klar geworden, was mein Pferd mit seinem Körper alles tun kann und wie großartig es ist, dass er uns immer sicher durch alle möglichen Situationen gebracht hat. Durch Maren kam die Erkenntnis, dass zwei so verschiedene Individuen ein gemeinsames System sind, wenn man reitend durch die Welt geht. Ich habe erlebt, dass es wirklich stimmt, was Maren sagt „man hilft sich gegenseitig, wenn man durch den Zügel, an den das Pferd heranzieht, verbunden ist“.  „Nebenbei“ wurde aus einem trageerschöpften Pferd mit viel Hals, aber einem schwachen Rücken und Bauch, kombiniert mit rückständigen Vorderbeinen und vorgesetzten Hinterbeinen ein insgesamt kräftiges Pferd mit geraden Röhrbeinen und viel Selbstbewusstsein.

Vor Kurzem durfte ich mich für Amigos viele kleine und große Rettungen mal revanchieren. Sich als Pferd-Reiter-Dyade gegenseitig zu helfen, war bislang für mich ein rein theoretisches Konstrukt. Also, er half mir ja immer, aber umgekehrt fand das eher selten oder so subtil statt, so dass ich es bis dato nicht bemerkt hatte.

Amigo ist älter geworden, es zwickt mal hier und da. Wir sind mehrheitlich langsamer, aber immer noch ausschließlich draußen unterwegs.

Neben uns ein Geräusch im Wald, Amigo erschreckt ein bisschen und stolpert dabei an einer Stelle, wo es bergab ging. Er wär gefallen, glaub ich, wenn wir nicht über Gebiss und Zügel verbunden gewesen wären. So konnte ich (und damit schließt sich der Kreis zu Marens aktueller Podcastfolge) ohne nachzudenken eine Stütze bieten. Nix Erlerntes, nix Geübtes, einfach eine Körperreaktion innerhalb des gemeinsamen Systems. Und dann gings weiter, als wär nix gewesen.

Es fällt mir schwer, die vielen Jahre des Angsthabens nicht zu bedauern, wenn ich sehe, wohin wir miteinander jetzt gekommen sind. Aber ich habe meinen Frieden damit gemacht, meinem Pferd wie einem sehr engen Freund rückhaltlos zu vertrauen.

Ich kann gut damit leben, dass er Dinge kann, die ich niemals können werde. Ich kann mich daran freuen, dass er happy damit ist, mir diese Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, insbesondere, der kleinen Frau mit den kurzen Beinchen mal zu einer Geschwindigkeit zu verhelfen, die sie alleine niemals erreichen könnte. Es ist, als lacht er mit mir, wenn wir durch die Gegend fliegen.

Ich will keinesfalls zurück zu „Angst durch Technik ersetzen“ und dem Gedanken, nicht genug zu tun und nicht genug zu sein.

 
Danke Amigo. Danke Maren.  


 

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